Gendersternchen, „Ärzt“ und „Gästin“ - schreibt mit beim #FunFriday!

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Im Fokus steht das Wort „*innen“, das im Lichtstrahl hervorgehoben wird, was auf Geschlechtergerechtigkeit hinweist.
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Die Nachrichtensprecher*innen machen es vor. Oder sind es die Nachrichtensprecher:innen? Die NachrichtensprecherInnen? Oder doch die Nachrichtensprecher_innen? Der FunFriday nimmt heute das geschlechtergerechte Formulieren, kurz „Gendern“, unter die Lupe. Doch was meint ihr dazu? Schickt uns eure eigenen Erfahrungen und Ansichten. Wir sammeln eure Texte und veröffentlichen damit die erste Ausgabe unseres Community-FunFridays in zwei Wochen.

Der Journalismus kann es im Moment nur falsch machen. Mit konsequenter Gendersprache wird er regelrecht zum Hassobjekt. Dasselbe gilt allerdings, wenn er es bleiben lässt. Jede und jeder muss Stellung beziehen, denn das mehr oder weniger neutrale Sich-Durchwursteln der letzten Jahre lässt die Gesellschaft schlichtweg nicht länger zu. Doch wie geht „richtig gendern“?

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Frag Mutti: Gendersternchen versus Doppelpunkt

Unser Frag Mutti-Team hat ebenfalls eine Debatte zu diesem Thema geführt und sich längst für das Gendern entschieden. Weniger leicht war anschließend das konsequente Festlegen auf eine bestimmte Gender Schreibweise. Dabei wurde sogar unser Chef Bernhard überstimmt, der für den prominenten Genderstern plädiert hat. Die Mehrheit hat jedoch für das Gendern mit Doppelpunkt votiert – wegen der besseren Lesbarkeit für unsere Community. Die Eingangsfrage zu den Nachrichtensprecher:innen beantworten wir deshalb mit Doppelpunkt.

Als Moderatorin des ZDF hat Petra Gerster als eine der ersten Nachrichtensprecherinnen konsequent auf Gendern umgestellt. Der Shitstorm dauert bis heute.

Sprache in Aufruhr

Natürlich geht es nicht nur Frag Mutti so. Der gesamte deutsche Blätterwald, die Sprachwissenschaften, Kultur und Prominenz sind angesichts der Gender Schreibweise in Aufruhr. Bemüht um gendergerecht korrekte Aussagen verhaspeln sich Politiker:innen – oder lassen demonstrativ und empört verbal um sich schlagend die weibliche Form weg. Eine Begründung dabei lautet immer wieder, dass auch Goethe nicht mit Gendersternchen geschrieben habe.

Johann Wolfgang von Goethe – der * am Dichterhimmel

Dagegen halten könnte man mit dem Argument, dass Johann Wolfgang von Goethe ein moderner Mann seiner Zeit war; ein kluger Kopf und alles hinterfragender Intellektueller – noch dazu mit tiefsinnigem Humor. Außerdem standen in der Zeit, in der er gelebt hat, geschlechterneutrale Formulierungen schlichtweg nicht zur Debatte. Würde Goethe heute leben, könnte die Antwort mit Sicherheit lauten, dass er sich zumindest nicht um die Diskussion gedrückt hätte.

Der deutsche Dichterfürst Goethe hoffte einst: „dass der Mensch noch immer Humor genug hat, sich über das Unabwendbare lustig zu machen“.

Die Gästin in der Genderschreibweise

Darüber hinaus belegen Schriftstücke aus dem Mittelalter, dass sich die Schreibkundigen schon vor Jahrhunderten mit der Schreibweise beider Geschlechtern auseinandergesetzt haben. So bestimmt die Nürnberger Polizeiverordnung 1478: „… dass kein Bürger oder Bürgerin, Gast oder Gästin“ vor Ort betteln solle. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer.

Gegen das Gendersternchen

Die GfdS, Gesellschaft für deutsche Sprache e.V., spricht sich ausdrücklich gegen das Gendersternchen aus. Grund dafür ist die Sorge vor falschen Formen – wie die eben zitierte „Gästin“. Andere Beispiele für falsches Gendern wären Ärzt:in oder Kolleg:in. Schließlich muss jedes Geschlecht auch für sich alleine gelesen werden können. Und einen „Ärzt“ gibt es hierzulande ebensowenig wie einen „Kolleg“. 

Ärzt:in geht nicht, denn es gibt es keinen „Ärzt“. Wie wäre es dann mit „Bergdoktor:in“? Den „Bergdoktor“ gibt es schließlich.

Sprachloser Duden

Was sagt eigentlich unser aller Rettungsanker in Sachen Sprache, der Duden? Der wurde just frisch gedruckt und offenbart nun enttäuschend nebulös: „Das Deutsche bietet eine Fülle an Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu formulieren. Es gibt dafür allerdings keine Norm. Im aktuellen Rechtschreibduden geben wir einen Überblick über verschiedene Optionen.“ Für unsere Sprache bedeutet das sehr konkret: Macht, was ihr wollt und viel Spaß mit den Konsequenzen. Also bleiben nur die "Ärztinnen und Ärzte" sowie "Kolleginnen und Kollegen". Das ist zwar sperrig, aber solange es keine verbindliche Regel gibt, muss die Sprache wenigstens auf korrekte Formen zurückgreifen. 

Gendern Pro und Contra – Fragen über Fragen

Das Gendern wirft noch viele Fragen auf, zum Beispiel, warum es gerade jetzt einen solchen Boom erlebt. Und natürlich, wann endlich die dahinterliegende Idee einer diskriminierungsfreien Sprache, um die wir derzeit ringen, in den Köpfen derjenigen ankommt, die nur den "guten alten Zeiten" hinterherjammern und sich lautstark über "Umständlichkeit" und "Hässlichkeit" beschweren. Dabei läuft die Diskussion um das Gendern bereits seit Jahrzehnten. Allerdings erfolgte sie eher in universitären Hörsälen. Spätestens seit der MeToo-Debatte reagiert auch die breite Bevölkerung sehr sensibel auf geschlechtertypische Diskriminierung. Das Gendern ist die logische Antwort aus der Basis, in einer geschlechtergerechten Sprache keine Gruppierung außen vor zu lassen. Denn stehen zehn Schornsteinfegerinnen auf einen Platz und kommt ein männlicher Schornsteinfeger dazu, stehen dort eben nicht nur Schornsteinfeger herum.

Respekt für LGBTQI+

Unsere Gesellschaft wird exakter und gleichzeitig offener – zum Glück. Denn Stillstand ist der Tod jeder kulturellen Gemeinschaft. Tradition als schlichtes Bewahren der Asche hat als Konzept noch nie funktioniert. Auf das Gendersternchen angesprochen reagiert die LGBTQI+-Community lesbisch-schwul-bisexuell-trans-queer- und intersexuell-lebender Menschen trotzdem häufig unwirsch. Denn solange noch langatmig über das „ob“ diskutiert wird und nicht über das „wie“, erlebten sie Tag für Tag weiter Diskriminierung durch Sprache – und schlichtweg zu wenig Respekt für den Regenbogen.

LGBTQI sieht ohne Gendern rot. In der Regenbogenfahne steht das allerdings für das Leben – und gemeinsam mit den anderen Farben für die Vielfalt der Menschen.

Besser (zu)hören, mehr verstehen

Häufig wird von Gegnern der Gendersprache argumentiert, dass Gender Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche für Blinde und Sehbehinderte eine Hürde beim Lesen darstellen – auch für die Texterkennungs-Apps, die Texte vorlesen. Doch der DBSV, Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V., hat sich bereits 2019 dafür entschieden, „Textlösungen zu finden, die kein Geschlecht ausschließen.“ Beim Lesen in der Blindenschrift sprechen sich viele Sehbehinderte deshalb für den Doppelpunkt aus. Allerdings können auch Sternchen so programmiert werden, dass sie ohne Pause gelesen werden.

Community-FunFriday

Und jetzt seid ihr gefragt: Was meint ihr zum Thema "Gendern"? Sollten wir uns darüber freuen, dass alternative Formen in der Sprache auf Gleichberechtigung drängen? Sind Sternchen, Doppelpunkte oder Unterstriche nur eine Übergangsphase, bis sich der deutsche Sprachraum endlich konsequent auf eine Form einigt? Unterliegt Sprache nicht ohnehin einem permanenten Wandel und muss – manchmal zähneknirschend - neue Einflüsse zulassen, wie wir bei zahlreichen Anglizismen und Wortneuschöpfungen sehen? Wir freuen uns sehr über eure sachlichen, gerne auch humorigen Beiträge, mit denen ihr eure ganz eigene Meinung und Erlebnisse zum Ausdruck bringt. Gerne könnt ihr an stefanie@frag-mutti.de schreiben. Wir sind gespannt und präsentieren euch die besten Beiträge im Community-#FunFriday in zwei Wochen.

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36 Kommentare

Wenn gegendert werden muss, sobald ÜBER Menschen GEREDET wird, dann werden die Texte unnötig lang und schwer verständlich. Deswegen gendere ich nur dann, wenn ich eine gemischte Menschengruppe ANREDE und verwende dann auch lieber Anreden, die kurz sind und trotzdem alle einschließen: "Liebe Leute" "Hallo in die Runde".
Sprachwissenschaftlich ist das grammatische Geschlecht (maskulin, feminin, Neutrum) etwas anderes als das natürliche Geschlecht (männlich, weiblich, divers), DER Mensch kann divers, weiblich oder männlich sein, DIE Person und DAS Mitglied auch. Sollen die Frauen jetzt sagen, wir fühlen uns nicht als Menschen, weil "der Mensch" ein maskulines Wort ist? Das wäre albern. Im Deutschen hat nun mal jedes Substantiv und jede Personenbezeichnung ein grammatisches Geschlecht, was nicht eindeutig genau ein natürliches Geschlecht bezeichnet.
Das merkt man schon an den Bezeichnungen "männlich", "weiblich", "sächlich". Es heißt zwar "DER Mann" (grammatisch maskulin) aber "DAS Weib" (grammatisch Neutrum) und "DIE Sache" (grammatisch feminin)
Wir können doch deswegen nicht alle Personenbezeichnungen aus der Sprache streichen.
Von mir aus sollen alle Leute gendern, wie sie wollen oder es bleiben lassen, auf jeden Fall sollte jeder das mit sich selbst ausmachen. Jemanden zum Gendern zu zwingen ändert bestimmt nicht dessen etwaige frauenfeindliche Gesinnung oder geschlechtertypische Diskriminierung, im Gegenteil die kann er dann prima mit vielen Sternchen, Doppelpunkten, Unterstrichen kaschieren.
(allein in dem letzten Absatz habe ich 4 maskuline personenbezogen Wörter verwendet, ohne die der Text unverständlich geworden wäre, wer findet sie?)
Bevor man mit dem Gendern anfängt, sollte man erst mal überprüfen, was zuerst ganz aus dem Wortschatz verschwinden sollte.
Z.B. Fräulein, Landsmännin, Frau Minister, Präsident usw.
Oder wenn ein Frauenarzt von seinen PatientEN spricht (habe ich selbst erlebt).
@DWL:
"Fräulein" ist sicher eins der gruseligsten Wörter unserer deutschen Sprache. Mir fällt dazu immer gleich das Pendant "Männlein" ein, das da steht im Wald allein.
Auf jeden Fall ist dein Ansatz zur "Sprachentschlackung" sehr innovativ. Herzlichen Dank dafür!