Der Truthahn – das fällt den meisten von uns Europäer:innen sicher als erstes ein, wenn es um den Thanksgivingday geht. Aber warum blasen die US-Amerikaner:innen an dem Tag riesige Ballons auf und legen damit den Betrieb in New York lahm? Warum kollabiert in den kompletten Staaten der Verkehr? Und warum erfindet der Handel rund um Thanksgiving immer neue Anlässe für Konsumschlachten? Eine Woche lang nehmen wir ab heute jeden Tag ein anderes Thanksgiving-Thema unter die Lupe.
Los ging es vor genau 400 Jahren mit etwas ganz Grundsätzlichem: Dankbarkeit. Denn 1621 standen Siedler der Plymouth Colony, im heutigen Massachusetts, vor einem echten Problem: Sie kannten sich weder mit der Pflanzen-, noch mit der Tierwelt vor Ort aus. Hilfsbereite Ureinwohner vom Stamm der Wampanoag erklärten ihnen alles rund um Truthahn, Kürbis, Mais und Süßkartoffeln. Damit retteten sie die Pilger vor dem Verhungern und diese teilten bei einem Erntedankfest aus Dankbarkeit ihre Ernte mit den Ureinwohnern. Allerdings ging die Geschichte für die Wampanoag nach hinten los. Sie wurden von den Pilgern Richtung Westen verdrängt, in die Sklaverei verkauft oder steckten sich bei ihnen mit tödlichen Krankheiten an. 1970 riefen verschiedene Stämme deshalb Thanksgiving zum „National Day of Mourning“ aus – dem nationalen Trauertag.
Family business
Auf das Erntedankfest mit den Wampanoag geht bis heute die Tradition der meisten anderen US-Amerikaner:innen zurück, sich an Thanksgiving mit Freunden und der gesamten Familie zu treffen - und sich gemeinsam für die unterschiedlichsten Dinge zu bedanken. Daher auch der Name „Thanksgiving“ – Danksagung. An diesem Tag bedanken sich die Menschen sogar bei unfreundlichen Zeitgenossen, wie fiesen Lehrer:innen oder Drängler:innen im Stau. Wichtig ist auch das Dankgebet im Kreis der Familie vor dem eigentlichen Thanksgiving-Menü. Dabei erklärt jedes Familienmitglied, für welche Dinge oder Menschen es besonders dankbar ist.
Dankeschön auch ans Marketing
Thanksgiving findet jeweils am 4. Donnerstag im November statt. Zurück geht dieses Datum auf Präsident Franklin D. Roosevelt. Er hatte 1939 die Idee, den Feiertag auf einen Donnerstag zu verlegen, um am darauffolgenden Freitag die schwächelnde Konjunktur anzukurbeln. Sein einfacher Plan ging gewaltig auf. Heute nehmen sich die meisten US-Amerikaner:innen den Freitag nach Thanksgiving für ihre Weihnachtseinkäufe frei – was auch der Handel kapierte und schnell den Black Friday kreierte. Da der Online-Handel auch etwas vom Thanksgiving-Kuchen haben wollte, erfand er noch den Cyber Monday dazu. Das hat sich inzwischen zu einer kompletten Cyber Week ausgewachsen.
USA, Kanada und Deutschland
Übrigens erklärte Abraham Lincoln Thanksgiving erst 1863 zum offiziellen Feiertag. Heute ist es der höchste Feiertag in den USA. Die Kanadier feiern Thanksgiving bereits am zweiten Montag im Oktober. Damit findet ihr Erntedankfest zu einem ähnlichen Zeitpunkt wie in Deutschland statt. Hier gibt es die christlichen Danksagungen meistens Anfang Oktober, sie haben allerdings keinen festen Zeitpunkt. Das Münchner Oktoberfest und der Cannstatter Wasen in Stuttgart sind hierzulande die beiden größten Feste, die ihren Ursprung als Erntedankfest hatten. Beide finden – außerhalb von Pandemiezeiten – Mitte September bis Anfang Oktober statt.
Von A bis Z
Natürlich steht an Thanksgiving, ähnlich wie am europäischen Weihnachten, das große Familienessen im Mittelpunkt. Damit haben sich die Gemeinsamkeiten jedoch zum Großteil erledigt. Denn Thanksgiving hat durchaus politische Aspekte. Zudem findet in New York die drei Stunden dauernde, riesige Macy’s Parade statt, bei der gigantische Ballons durch die Straßen gezogen werden. Auch Football ist ein wichtiges Thema. Dafür versammelt sich traditionellerweise die Familie vor dem Fernseher, während in der Küche der Truthahn zubereitet wird. Auch der karitative Gedanke darf an Thanksgiving in den USA nicht zu kurz kommen. Dank der landesweit stattfindenden Armenspeisungen soll wenigstens an Thanksgiving niemand hungern.
Turkey und Co.
Übrigens verdrücken die Menschen in den USA an Thanksgiving jedes Jahr rund 50 Millionen Truthähne. Und dann vertilgen sie am „Turkey Day“ gleich noch ebenso viele Kürbiskuchen. Um die Kalorienzahl ins Unermessliche zu katapultieren, reichen die eifrigen Köch:innen zahlreiche Beilagen. Karotten und Süßkartoffeln werden dabei gerne mit einer Marshmallow-Kruste serviert. Kartoffeln und Bohnen werden mit viel Sahne und Käse gratiniert. Und in der traditionellen Cranberry Sauce steckt jede Menge Zucker. Am besten lässt man das Kalorienzählen deshalb ganz schnell sein – und genießt die Völlerei.
Achtung: Krisenpotenzial
Ähnlich wie an Weihnachten hierzulande haben die meisten US-Amerikaner:innen enorm hohe Ansprüche und Erwartungen an ihren höchsten Feiertag Thanksgiving: Das Essen soll perfekt sein. Die Familie dankbar, zufrieden und harmonisch. Das Wetter großartig, die Kinder engelsgleich. Kein Wunder, dass damit zahlreiche Krisen vorprogrammiert sind.
Verkehrskollaps und enttäuschte Erwartungen
Schon der jährlich stattfindende, totale Verkehrskollaps trägt von Anfang an nicht zur harmonischen Grundstimmung bei. Denn über 50 Millionen US-Amerikaner:innen machen sich am Tag vor Thanksgiving auf den Weg zu ihren Familien. Dort kommen sie genervt an – wo eigentlich schon alles perfekt sein soll. Doch einer derartigen Erwartungshaltung können Normalsterbliche kaum gerecht werden. So ufern viele Thanksgiving-Feste zu handfesten Familiendramen aus. Und die Dankbarkeit dafür hält sich meist in Grenzen.