Die Nächte zwischen dem 24.12. und dem 6.1. werden im Volksglauben Raunächte oder auch Zwölfnächte genannt. Sie sind voller düsterer Mythen, aber auch reich an hoffnungsvollen Erwartungen an eine neue Zeit. Hier möchte ich einige Bräuche und alte Mythen aufzeigen, aber auch Möglichkeiten, die uns diese dunkle Zeit des Jahresüberganges bietet. Doch eines vorweg: Ich interessiere mich zwar für alte Mythen, bin aber nicht esoterisch veranlagt. Ich habe jedoch die dunkle Jahreszeit schätzen gelernt, da es in dieser Zeit auch mal in Ordnung ist, nicht ständig zu tun und zu machen, sondern stattdessen in sich gekehrt zu sein.
Die Raunächte - eine Zeit zwischen den Jahren
Im 16. Jahrhundert wurde mit dem Gregorianischen Kalender eine Kalenderreform durchgeführt. Jedoch fehlten bei der Umstellung vom Mondkalender (12 Monate, 354 Tage) zum Sonnenkalender (12 Monate, 365 Tage) elf Tage, also zwölf Nächte. Diesen Zeitraum nahmen die Zwölfnächte oder Raunächte ein. Die meisten von uns sprechen aber heute vom Zeitraum zwischen Weihnachten und Silvester, wenn sie die Zeit "zwischen den Jahren" meinen.
Keine Wäsche in den Raunächten waschen!
Kein Witz: Diesen Rat bekam meine Mutter Anfang der Siebzigerjahre von ihrer Vermieterin eingeschärft. Meine Mutter fragte kritisch nach, bekam jedoch nur die Antwort: "Das macht man einfach nicht!"
Was absurd klingt, hat einen grausigen Hintergrund: Der altdeutsche Volksglaube besagt, dass germanische Götter (an die man früher geglaubt hatte) am Winterhimmel während der Zwölfnächte ihre "Wilde Jagd" halten würden. Sie reiten im Gefolge ihrer Geister und Kobolde über den Nachthimmel und wer (wie es früher üblich war) seine weißen Bettlaken im Garten zum Trocknen aufhängt, der macht sich für die bösen Nachtgeister erkenntlich. Somit wissen sie durch die hellen Laken, wo sich eine Siedlung befindet und richten dort ihr grausames Werk der Zerstörung an. Sie nehmen Rache an den Bewohnern, die mittlerweile einen anderen Glauben haben.
Brauch an Silvester: Böse Geister mit Lärm vertreiben
Wir begrüßen heutzutage das Neue Jahr mit Feuerwerk und Böllern. Doch man kann diesen Brauch auch anders sehen: In alten Zeiten versuchten die Menschen mit Lärm die bösen Geister zu vertreiben, die doch so häufig in den Raunächten vorkommen sollten.
Die Raunächte als Orakel für das kommende Jahr
Traditionell blickt man während der Zwölf- oder Raunächte nicht nur auf das vergangene Jahr, sondern auch in die Zukunft. Junge Frauen glaubten früher, in dieser bedeutungsvollen Zeit von ihrem zukünftigen Ehemann zu träumen.
Es war jedoch kein gutes Omen, während der Raunächte einen Doppelgänger zu sehen - denn das bedeutete, dass man noch im kommenden Jahr sterben würde.
Auch dass wir heute an Silvester Blei oder Wachs gießen und aus den Formen eine Bedeutung für unsere Zukunft ablesen (für die meisten von uns ein harmloser Spaß), wurzelt in alten Bräuchen.
Was können die Raunächte für mich bedeuten?
Zurück zur Wäsche: Warum soll man es nach all dem Aufwand für das Weihnachtsfest nicht mal ein wenig ruhiger angehen lassen? Vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, manche Dinge der Hausarbeit etwas aufzuschieben und sich selbst ein wenig zu erholen? Keine Angst, es werden euch keine germanischen Gottheiten massakrieren, nur weil ihr gemütlich mit einem guten Buch auf dem Sofa oder in der Badewanne liegt!
Das Weihnachtsfest ist vorüber, das Neue Jahr beginnt bald. Es ist eine geeignete Zeit, zurückzublicken und sich zu fragen: Was ist mir dieses Jahr gut gelungen? Welche Momente waren schön? Aber auch der Blick nach vorn ist wichtig: Was brauche ich in Zukunft? Was möchte ich abgeben?
Hier spielt das Loslassen eine große Rolle. Zum Schluss ein persönliches Erlebnis, das ich mit den Raunächten verbinde: Mein Großvater verstarb kurz vor Weihnachten. Er war ein komplexer Charakter gewesen, der bei seinen Mitmenschen die unterschiedlichsten Emotionen ausgelöst hatte. Meine Mutter bat Verwandte und Bekannte, ihm einen letzten Brief zu schreiben. Diese Briefe haben wir während einer Nacht im Zeitraum der Raunächte verbrannt. Wir sind in meiner Familie nicht esoterisch geprägt, aber es war ein Ereignis, das uns allen guttat: Positive Erinnerungen tauchten noch einmal auf, negative Erinnerungen konnten ein wenig losgelassen werden.